Geänderte Rechtsprechung (erschienen in der Zeitschrift Meister-Brief, Ausgabe 4/2019)
Der Bundesgerichtshof hat in der jüngeren Vergangenheit unter Änderung jahrzehntelanger Rechtsprechung zwei interessante Urteile veröffentlicht, die im Folgenden kurz dargestellt werden. I. BGH – VII ZR 34/18 – Urteil vom 08.08.2019
1. Einigen sich die Parteien nicht über die Preisbildung des neuen Einheitspreises für Mengenmehrungen gem. § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B, enthält der Vertrag eine Lücke, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen ist.
2. Die im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Interessen ergibt, dass der neue Einheitspreis auf der Basis der tatsächlich erforderlichen Kosten zzgl. angemessener Zuschläge zu bemessen ist.
Vor der zitierten Entscheidung war es so, dass bei Bauverträgen unter Einbeziehung der VOB/B die Preise für Massenmehrungen nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B aus dem Vergütungsgefüge des Ursprungsvertrages hergeleitet werden mussten. Es galt der
Grundsatz:
„Guter Preis bleibt guter Preis, schlechter Preis bleibt schlechter Preis
(sogenannte korbion´sche Formel).“
Zur Thematik der Massenmehrungen nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B hat der BGH – VII ZR 34/18 – mit Urteil vom 08.08.2019 dieser seit Jahrzehnten geltenden Praxis einen Riegel vorgeschoben. Die vorkalkulatorische Preisfortschreibung gilt nicht mehr.
Es entspricht weiterhin grundsätzlich einhelliger Bewertung des Urteils des BGH – VII ZR 34/18 – vom 08.08.2019, dass die vorkalkulatorische Preisfortschreibung auch nicht mehr für den Fall der geänderten Leistung nach § 2 Abs. 2 VOB/B und der
zusätzlichen Leistung nach § 2 Abs. 6 VOB/B geltend wird (vgl. Althaus BauR 2019, 1501f.).
Bei Massenmehrungen nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B sowie geänderten Leistungen nach § 2 Abs. 5 VOB/B und zusätzlichen Leistungen nach § 2 Abs. 6 VOB/B ist bei der Ermittlung der Preise die Kalkulation des Ursprungsvertrages grundsätzlich nicht mehr der ausschlaggebende Faktor. Vielmehr ist ein neuer Einheitspreis nach den tatsächlich erforderlichen Kosten zzgl. angemessener Zuschläge zu bemessen.
Entsprechend hat der Unternehmer jetzt die Möglichkeit, bei Massenmehrungen oder Nachträgen einen schlechten Vertragspreis aus der Urkalkulation herausziehen und einen auskömmlichen Einheitspreis zu generieren.
Hiermit korrespondiert der zum 01.01.2018 eingeführte § 650c Abs. 1 BGB wo für Nachträge die tatsächlich erforderlichen Kosten mit angemessenen Zuschlägen für allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn gelten sollen.
II. BGH – VII ZR 46/17 – Urteil vom 22.02.2018
Der Besteller, der das Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt, kann ihm Rahmen des Schadensersatzanspruchs statt der Leistung (kleiner Schadensersatz) gegen den Unternehmer gem. §§ 634 Nr. 4, 280, 281 BGB seinen Schaden nicht nach den fiktiven Mangelbeseitigungskosten bemessenen (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung). Der Besteller, der das Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt, kann den Schaden in der Weise bemessen, dass er im Wege einer Vermögensbilanz die Differenz zwischen dem hypothetischen Wert der durch das Werk geschaffenen oder bearbeiteten, im Eigentum des Bestellers stehenden Sache ohne Mangel und den tatsächlichen Wert der Sache mit Mangel ermittelt. Hat der Besteller die durch das Werk geschaffene oder bearbeitete Sache veräußert, ohne dass eine Mängelbeseitigung vorgenommen wurde, kann er den Schaden nach dem konkreten Mindererlös wegen des Mangels der Sache bemessen.
Mit der zuvor zitierten Entscheidung hat der BGH die Bewertung einer Rechtsfrage geändert, die bereits seit Einführung des BGB im Jahr 1900 Geltung gehabt haben dürfte.
Machte der Bauherr kleinen Schadensersatz geltend, so hatte er bislang einen Anspruch auf Entschädigung in Höhe derjenigen Kosten, die eine Mängelbeseitigung verursachen würde (fiktive Mängelbeseitigungskosten) unabhängig davon, ob der Mangel nun beseitigt wird oder nicht.
Dieser Variante hat der BGH nunmehr eine Absage erteilt. Saniert der Bauherr nicht, so kann er Ersatz nur verlangen in Höhe des merkantilen Minderwertes. Handelt es sich beispielsweise um einen Mangel, der praktisch keinen Einfluss auf die Funktionstauglichkeit der Werkleistung hat, so kann eine verbleibende merkantile Wertminderung gegen Null gehen. Es ist dann aus rechtlichen Gründen unerheblich, ob die Sanierungskosten tatsächlich hoch wären oder nicht.
Wird ein Bauhandwerker von einem Bauherren in Anspruch genommen, so sollte er zunächst auf sein Nachbesserung bestehen. Hat demgegenüber der Bauhandwerker – gegebenenfalls wegen Fristablaufes – keinen Anspruch mehr auf Durchführung der Sanierungsarbeiten, so wird er unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung zu klären haben, der ob der Bauherr den Mangel beseitigen lässt oder nicht.
Wird eine Sanierung nicht durchgeführt, so ist der Bauherr auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe des merkantilen Minderwertes reduziert.
Wie genau die Differenz zwischen den hypothetischen Wert der Sache ohne Mangel und den tatsächlichen Wert der Sache mit Mangel zu beziffern ist, hat der BGH in der zitierten Entscheidung nicht dargelegt. Die Berechnung des Mindererlöses ist daher offen. Es besteht aktuell ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit.
gez.
Frank Dierker